Opfer der guten Stimmung
In den neuen Fußball-Arenen und unter dem harten Winter leidet der Rasen wie nie - und bietet ein grauenhaftes Bild
VON FRANK HELLMANN
Wenn Clemens Mehnert an das Münchner Olympiastadion denkt, gerät der Bayer ins Schwärmen. "Da hat sogar im Winter die Sonne reingeschienen, der Tau ist abgetrocknet - das war herrlich für den Rasen." Die verklärte Reminiszenz des Agraringenieurs hat durchaus ihre Berechtigung: Als der FC Bayern seine Spiele noch im ungeliebten Oval auf dem Olympiagelände austrug, musste man sich um die Spielfläche wenig Sorgen. Gut, ab und an hat man mal den von Oliver Kahn zerfurchten Rasen im Torraum ausgetauscht, doch im Grunde waren das Kinkerlitzchen im Vergleich zum Problem, das sich nun vor Mehnert türmt, dem Rasen-Papst der neuen Allianz-Arena.
Das vernichtende Urteil: "Wir zehren nur noch vom Wurzelwerk und spielen im Grunde auf angewalztem Hexelmaterial." Seit 30 Jahren beschäftigt sich Mehnert mit Sportrasen, er leitet Seminare, bildet Rasenpfleger aus - und ist nun doch machtlos. "Der Winter war in Bayern brutal, die Arena ist überdies ein Eiskeller", erklärt Mehnert, "die Blattmasse ist zerstört." Dies sei auch den neuen, schmalen Stollenformen geschuldet. "Die schneiden die Wurzeln ab: Bei einer Drehbewegung ist alles zerbröselt." Der Einsatz spezieller Lampen hat ebenso wenig geholfen wie die Tatsache, dass noch im November vergangenen Jahres der so genannte Powerrasen einmal komplett ersetzt wurde.
Neuer Rollrasen in Köln verlegt
Nicht nur in München gibt das Spielfeld ein grauenhaftes Bild ab. "Der Platz in Köln sieht so aus, als wären 23 Wildschweine darüber gestampft", lästerte Dortmunds Nationalspieler Christian Wörns am Sonntag, "da sind Löcher drin, die kriegst du selbst mit dem Presslufthammer nicht hin." Frankfurts Trainer Friedhelm Funkel beklagt vor dem Heimspiel gegen den Hamburger SV einen Rasen, der "gar nicht gut aussieht". Er hat in den vergangenen Wochen nicht öfter als viermal in der Commerzbank-Arena trainieren lassen, "sonst zerstören wir den Platz völlig." Das sei halt der Nachteil der neuen Arenen, sagt Funkel fatalistisch, "der Rasen ist das Opfer der guten Stimmung." In der Tat: Gespielt wurde jüngst in Matschgruben in Berlin und Duisburg, auf Schlammwüsten in Köln und Wolfsburg oder Kartoffeläckern wie in Frankfurt und München. Die neuen Arenen mit den steilen Tribünen und aufwändigen Dachkonstruktionen lassen den Pflanzen zu wenig Licht und Luft.
Die Stadionbetreiber reagieren unterschiedlich. In Hamburg etwa ist der Rasentausch Alltag; in der AOL-Arena ist diese Spielzeit bereits das dritte Feld im Gebrauch - das vierte folgt möglicherweise im März. In Köln hat die Sportstätten GmbH gerade am Dienstag neuen Rasen aus Holland verlegt. Nicht überall geht's so rasch: In Berlin mühen sich die Hertha-Verantwortlichen, damit nach dem Schalke-Heimspiel die Betreibergesellschaft grünes Licht für ein neues Grün gibt. Eine Erneuerung ist schließlich rund 100 000 Euro teuer.
In München wird man auf den Rasen von der Rolle noch mindestens bis zum 5. März warten, wie Fachmann Mehnert erklärt: "Wir können vorher keine Sode aufbringen, sonst spielen wir Wasserball." Die Bayern-Stars nörgeln über den Zustand seit Wochen. "Katastrophe", schimpft Ballzauberer Ze Roberto, weil bereits beim Fünf-Meter-Flachpass die Pille verspringt. Wenn nächsten Dienstag der AC Milan zum Champions-League-Achtelfinale kommt, dürften sich die Italiener wie zu Hause fühlen - das Giuseppe-Meazza-Stadion ist seit Jahren von ähnlichen Problemen geplagt. "Rasen ist ein Verschleißteil - wie bei Schumachers Ferrari die Reifen", erklärt Rasenproduzent Horst Schwab. "Zwischen November und Februar, wo kein Rasen wächst, findet die höchste Bespielung statt. Da können Platzwarte und Produzenten machen, was sie wollen."
Das sensible Thema steht auch beim Weltverband Fifa auf der Agenda; nicht erst seit der mit Rasenproblemen begründeten Absage der WM-Gala. Gestern erst fand in Kempen ein Workshop zum WM-Rasen statt. Denn sofort nach Ende der Bundesliga-Saison müssen die Spielflächen in den WM-Stadien erneut komplett ausgetauscht werden. Wie es heißt, habe der harte Winter auch den eigens angelegten Anbauflächen für Rasen nach Fifa-Vorschrift nicht gut getan.
Quelle:
http://www.fr-aktuell.de/ressorts/sport ... cnt=806632