Rund eine Stunde nach dem Abpfiff und der Euphorie-Explosion auf dem Rasen des Carl-Benz-Stadions wurde es immerhin am Rand der Nord-Tribüne langsam etwas ruhiger. Auch Günter Sebert, der Sportliche Leiter des SV Waldhof, fand endlich Zeit für das erste Durchatmen, die ersten Gedanken darüber, was gerade passiert war. Der SVW hatte mit dem 6:0 (4:0) gegen Illertissen den Schritt von der Fünft- in die Viertklassigkeit getan – auf den ersten Blick nicht gerade ein Meilenstein, doch angesichts von 18 313 Fans und einer Begeisterung, die zuletzt fast die ganze Stadt erfasst hatte, doch etwas ganz Besonderes. Auch Sebert musste etwas länger in seinem Erfahrungsschatz kramen, bis die Einordnung stimmte. „Als wir 1983 in die Bundesliga aufgestiegen sind, war das ein Wunder. Dass wir 1989 dort noch die Klasse gehalten haben, war kaum denkbar. Und angesichts der Umstände vor der Saison, ist dieser Erfolg auch eine Nummer für sich, vielleicht sogar ein Startschuss“, sagte der 63-Jährige, der vor der Runde quasi aus dem Nichts ein Team aufbauen musste.
Auch Carl Murphy bleibt
Nun geht der Blick nach vorne. In der Regionalliga, wo die Waldhöfer eine Eingruppierung in die Süd-Staffel erwarten, wollen die Blau-Schwarzen nicht gleich vom Start weg „nach hinten schauen müssen“ (Sebert). Schließlich sei der Sprung nach oben tatsächlich ein kompletter Klassenunterschied, warnte Meister-Trainer Reiner Hollich, der mit einem Etat von 2,1 Millionen Euro und 22 Waldhof-Fußballern (20 Feldspieler, zwei Torhüter) planen darf. Der Großteil des Teams um den überragenden Abwehrchef und Kapitän Jurij Krause hatte schon vorzeitig verlängert, Außenverteidiger Carl Murphy hat inzwischen als letzter Wackelkandidat einen neuen Vertrag unterschrieben. Weitere Neuverpflichtungen neben Christopher Hock (SC Hauenstein) sind fix und sollen wohl schon heute bekanntgegeben werden. Auch Präsident Steffen Künster, der mit seinen Präsidiumskollegen die SMS-Glückwünsche von Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp entgegennehmen durfte, kann sich über fixe Verträge freuen. „Mit Blick auf die Lizenz ist alles wasserdicht, die Finanzen sind belegt, gerade vorhin hat uns eine Druckerei weitere 5000 Euro zugesichert – wir bekommen viele solcher Signale“, will Künster den Rückenwind nutzen, um die wirtschaftliche Basis weiter zu stärken. „Die Region hat gezeigt, dass sie den Waldhof wieder will“, war nicht nur der neue Klub-Chef von der Kulisse begeistert und fuhr sich immer wieder ungläubig durch das biernasse Haar. Mannheims Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz hielt mit Blick auf die Garderobe sicheren Abstand zur überschäumenden Freude, doch die Aufstiegsfeier in Blau-Schwarz beeindruckte das Stadtoberhaupt nicht minder. „Der Fußball ist zurück in Mannheim“, staunte der OB und wünschte sich weiter seriöses Wirtschaften an der Klub-Spitze. „Wir werden unsere Strategie beibehalten“, versicherte Steffen Künster. Und Günter Sebert im sportlichen Bereich steht ohnehin für Bodenständigkeit – das galt auch für die bevorstehende Party-Nacht: „Ich such’ jetzt erst mal meine Frau“, verabschiedete sich der „Sam“ zur großen Waldhof-Sause.
Ansporn und Auftrag
Mehr als 18 000 Fans bei einem Oberliga-Spiel – damit hatten wohl nur die kühnsten Optimisten gerechnet. Doch diese Rekordkulisse zeigt nicht nur, dass die Mannheimer Lust auf ein Spektakel hatten, sondern dass der SV Waldhof mit einer leidenschaftlichen Elf tatsächlich ein Stammpotenzial an Fans und Interessierten wecken kann, das deutlich über Regionalliga- Durchschnitt liegt. Auch die regionale Wirtschaft sollte das spätestens jetzt erkannt haben. Das dürfte für die Verantwortlichen und die Mannschaft Ansporn sein, mittelfristig den nächsten Schritt zu gehen – nicht zuletzt, weil die Regionalliga wirtschaftlich völlig unattraktiv ist. Doch die neue Waldhof-Führung hat sich auch selbst einen klaren Auftrag gegeben: Konsolidierung und Wachstum mit Augenmaß. Dabei wird das erfolgshungrige Umfeld vielleicht ein, zwei Spielzeiten im Mittelmaß der Viertklassigkeit hinnehmen müssen. Der größte Fehler wäre es aber, jetzt mit der Aufstiegseuphorie und dem einmaligen Hoppschen Schuldenerlass im Rücken neue Drahtseilakte zu inszenieren. Seit Samstag hat der SVW wieder eine reelle Option auf Profi-Fußball, doch diese lässt sich nur mit Bedacht nutzen.
Reule straft seine Kritiker
Als seine Rückkehr zur Winterpause bekannt wurde, rümpften nicht wenige im Umfeld des SV Waldhof die Nase. Daniel Reule galt als schwierig, sein geräuschvoller Abgang bei den Stuttgarter Kickers II schien viele Kritiker des Stürmers zu bestätigen. „Doch bei uns hat sich Daniel immer einwandfrei verhalten und seine Tore gemacht“, erinnert sich der Sportliche Leiter Günter Sebert an die Argumente, die um den Jahreswechsel für den 28-Jährigen sprachen. „Deshalb haben wir uns für ihn starkgemacht, und seine jüngste Entwicklung hat uns recht gegeben“, freute sich auch Trainer Reiner Hollich für den Stürmer, der vor dem Saisonfinale seinen Vertrag verlängert hatte. Das entscheidende Siegtor in Reutlingen, nun der Hattrick gegen Illertissen – ausgerechnet Daniel Reule war es vorbehalten, den Meister- Sack endgültig zuzumachen. Mit der flachen Hand über der Grasnarbe machte der Goalgetter nach dem zwischenzeitlichen 3:0 klar: „Fertig mit der Oberliga.“ Doch Reule blieb auf dem Boden, von Genugtuung wollte er nicht sprechen: „Vor drei Jahren sind wir hier schon einmal aufgestiegen – das war natürlich schön. Aber dieser Titel ist unbeschreiblich und ein Verdienst der gesamten Mannschaft.“
Meister auch beim Feiern bis zum Morgengrauen
Die Jubelarien auf dem Rasen waren nur der Anfang einer rauschenden Meisternacht bis in die frühen Morgenstunden. „Ihr könnt nicht nur gut Fußball spielen, sondern richtig gut tanzen“, lobte ein Fan Giancarlo Pinna und Mariusz Suszko, als sich der Kader gegen 19 Uhr auf dem eigens aufgebauten Party-Truck hinter dem alten Fanblock feiern ließ. Als Silke Hauck und Band „live“ den Klassiker „Celebration“ der legendären Kultband „Kool & The Gang“ anstimmten, gab es kein Halten mehr. In Boxershorts und Trainingsleibchen wackelte und zappelte die SVW-Boygroup, Durchschnittsalter rund 23 Jahre, wie sonst beim Discobesuch. Zu „Nie mehr Oberliga“, „We are the Champions“ – was eben so gesungen wird, wenn der sportliche Weg nach oben führt – wurden sie von den stimmgewaltigen Fans unterstützt. Zeugwart Bernd Klotz ging es wie vielen: Freudentränen kullerten. Die „Moderation“ übernahm dann Christian Gmünder. Einen nach dem anderen holte er auf die Bühne: Hollich, Clauß, Sebert, Künster, Hafner, Laib und natürlich Klotz hießen seine Gäste: „Warum haben Sie die Führung in diesem Verein übernommen“, fragte der scheidende Mittelfeldmann Klub-Chef Steffen Künster: „Weil der SV Waldhof der geilste Verein Deutschlands ist“, antwortete der prompt und erntete ohrenbetäubenden Applaus.
Polterabend inklusive
Doch die lange Partynacht stand erst am Anfang. Per Bus ging es gut eine Stunde später ab nach Viernheim. „Benjamin Waldecker hat heute seinen Polterabend“, verriet „Edu“ Hartmann. Kuriose Planung? Hartmann nahm den Teamkollegen in Schutz: „Als er das geplant hat, hat wohl keiner mehr an eine Meisterfeier am selben Tag geglaubt.“ Der Abschied zum SC Hauenstein falle schwer: „Wenn man diese Fans hier sieht . . .“ Dann verschlug es Hartmann die Sprache. Ein verdienter Schluck vom kühlen Blonden des Trikotsponsors rettete die Situation. Offiziell gefeiert wurde anschließend im „Onyx“ am Wasserturm. Viele Fans und Sponsoren warteten dort schon, als gegen 23.30 Uhr die „Helden“ eintrafen. Allen voran Daniel Reule, der noch am Stadion in den Status des neuen „Fußballgotts“ am Waldhof-Himmel erhoben wurde. Zum Tanzen ging es weiter ins „Baton Rouge“. Erst im Morgengrauen fanden die Letzten den Weg nach Hause. „Sonntag um 11 Uhr haben wir uns alle noch am Alsenweg verabschiedet. Croissants, dazu Bier, Wasser, isotonische Getränke. Jeder hat für sich seine Kombination gewählt. Es war eine sagenhafte Saison mit einer tollen Truppe“, war Co-Trainer Andreas Clauß auch am Tag danach gerührt.
Waldhof-Splitter
Gleich zwei Rekorde: 18 313 Zuschauer bei einem Oberliga-Spiel – diese bundesweite Bestmarke dürfte dem SV Waldhof so schnell niemand streitig machen. Doch am Samstag gab es gleich einen zweiten Rekord: 83 Punkte erreichte seit Bestehen der Oberliga Baden-Württemberg noch keine Mannschaft.
Hollich hofft auf seinen Chef: Mit dem Regionalliga-Aufstieg war klar: Der SVW-Kader wird künftig wieder zweimal am Tag trainieren. Damit auch Coach Reiner Hollich pünktlich auf dem Übungsplatz stehen kann, müsste er seine Wochenarbeitszeit von zurzeit 35 auf 28 Stunden reduzieren. „Ich habe schon vorgefühlt, aber es gibt natürlich noch ein abschließendes Gespräch“, hofft Hollich auf seine Vorgesetzten bei Bopp&Reuther Messtechnik in Speyer.
Zahltag und spontane Prämie: Der Jubeltag war auch Zahltag: Bei einem Durchschnittspreis von 7,50 Euro pro Karte spülten die Fans 137 347 Euro in die Kasse des Oberliga-Meisters. Für die Mannschaft gab es deshalb eine spontane Aufstiegsprämie. „In den Verträgen der Spieler war so etwas nicht vorgesehen, aber die Jungs haben sich ihren Anteil verdient“, sagte Präsident Steffen Künster.
Aufstiegs-Shirt im Fan-Shop: Heiß begehrt waren am Samstag im Stadion die originellen Aufstiegs-Shirts mit dem Slogan „Sorry Oberliga, wir sind dann mal weg“. Eine Rest-Auflage der weißen Hemden gibt es noch im Fan-Shop des SV Waldhof für 10 Euro plus Versandkosten.
So geht’s weiter beim SVW
04.07.2011 - Nach der Pause nimmt der Neu-Regionalligist am 4. Juli wieder das Training auf.
05.07.2011 - Einen Tag später, am 5. Juli, sollen Mannschaft und Trainer im Mannheimer Rathaus von Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz geehrt werden.
09.07.2011 - Das erste Testspiel ist ebenfalls schon terminiert: Am 9. Juli geht es gegen den SC Neulußheim.
