Der SV Waldhof ist zurück in der Regionalliga. Die Oberliga-Rekordkulisse von 18 313 Fans feierte das 6:0 gegen Illertissen. Danach gab es feuchte Augen - nicht nur wegen der Bier-Duschen.
Hans Kyei war der Erste, der es in den Kabinengang geschafft hatte. Draußen strömten die Fans auf den Platz, blau-schwarze Rauchschwaden zogen über das Spielfeld, vor der Osttribüne brannten Feuerwerkskörper und Kanonenschläge ab. Was eben gerade passiert war - 6:0 im Saisonfinale, Meisterschaft und Aufstieg vor einer Oberliga-Rekordkulisse - musste der Angreifer erst einmal sortieren, die Emotionen inklusive. "Nach 17 Spielen ohne Niederlage sind wir verdient aufgestiegen. Das Tor war mein Abschiedsgeschenk für die überragenden Fans", blickte er auf sein zwischenzeitliches 4:0 und kam nur noch stockend weiter. Schließlich geht es für den Publikumsliebling nun weiter zum VfL Bochum II. Doch Kyei war sich sicher: "Ich werde den SV Waldhof weiter im Herzen haben."
Die übrige Jubel-Karawane wollte aber gar nicht so weit in die Zukunft schauen. "Die heutige Feier wird niemand so schnell vergessen", kündigte der dreifache Torschütze Daniel Reule an, und die Meistermannschaft tauchte plötzlich im Aufgang vor der Ehrentribüne auf. Riesige Biergläser und die ersten Zigarren machten die Runde. Hier sollte der Meisterteller des Badischen Fußball-Verbands übergeben werden, den Kapitän Jurij Krause dann stolz in die Höhe recken durfte. "Wir wollen die Schale seh'n", machten die Fans die Ehrengabe etwas größer als sie war, doch auf dem Rasen war die Euphorie-Grenze ohnehin schon ans oberste Limit verschoben worden.
Und da Spieler und Fans nach der ebenso unglaublichen wie erfolgreichen Aufholjagd Richtung Saisonfinale gestern verständlicherweise ein Herz und eine Seele waren, wurde nach einigen Kletterpartien kurzerhand das Dach des Spielertunnels als Bühne für Torwart Markus Kolke umfunktioniert. Der Keeper hatte fleißige Souffleure und dirigierte die Massen per Megafon, der Rest der blau-schwarzen Boygroup, hatte die passenden Meister-Shirts übergestreift. "Sorry, Oberliga - wir sind dann mal weg."
Die Textilien mussten einiges aushalten, auch Trainer Reiner Hollich war entsprechend gezeichnet. Die erste Bier-Dusche gab es gleich auf dem Platz, nach der Pressekonferenz blinzelte der Meister-Trainer durch seine verklebte Brille. "Ich bin nur der Dirigent eines sehr guten Orchesters", wollte Hollich seinen Anteil am Erfolg nicht überbewertet wissen, was er auch auf dem Feld gegen Ende der 90 Minuten zum Ausdruck gebracht hatte. Der Coach verbeugte sich vor jedem seiner ausgewechselten Spieler. "Die Verbeugungen waren symbolisch und galten dem gesamten Team", war für Hollich klar: Der Star war die Mannschaft. Doch auch dem erfahrenen Übungsleiter ging das Happy End vor der beeindruckenden Kulisse sichtlich nahe. "Ich habe beim SVW als Fünfjähriger mit dem Fußball begonnen. Dem Verein jetzt einen Titel und die Regionalliga-Zugehörigkeit zurückgeben zu können, ist einfach schön. Das ist eine Meisterschaft, die auch mein Herz berührt", sagte Hollich, bevor er Waldhof-Urgestein Walter Spagerer umarmte. "Und dass sie das noch miterleben dürfen, macht mich besonders stolz", betonte der Waldhof-Trainer in Richtung des 92-Jährigen.
Nur ganz langsam wurde es dann im Carl-Benz-Stadion ruhiger, auch Günter Sebert hatte nun endlich Zeit, den Erfolg etwas sacken zu lassen. Der Sportliche Leiter hatte nach der verpassten Regionalliga-Lizenz vor rund einem Jahr praktisch aus dem Nichts eine Mannschaft ins Rennen geschickt, die mit den Transfers zur Winterpause tatsächlich noch einmal angreifen konnte - und auf den letzten Drücker ins Ziel kam. "Unter diesen Voraussetzungen ist der Aufstieg sicher ganz hoch einzuordnen", blickte der Ehrenspielführer auf seinen langen Erfahrungsschatz zurück.
SV Waldhof: Kolke - Hartmann, Geiger, Krause, Murphy - Fazlija (62. Waldecker), Malchow, Grujicic, Gmünder - Reule (73. Suworow), Kyei (58. Dautaj).
Reules Hattrick läutet die große Sause ein
Noch 90 Minuten bis zur Regionalliga - so lautete der Wunsch-Fahrplan der zahlreichen Waldhof-Fans. Doch die Rückkehr des SVW in die Regionalliga stand schon viel früher fest. Hier der Zeitraffer bis zur vierten Liga.
15.31 Uhr: Nach der Verabschiedung der scheidenden Spieler kann Schiedsrichter Robert Kempter die Partie fast pünktlich an pfeifen. Einige der 18 313 Fans müssen noch auf die Tribünen nachrücken.
15.43 Uhr: Das ersehnte frühe Tor - es fällt, wie im Aufstiegsdrehbuch vorgesehen. Daniel Reule reagiert am schnellsten, nachdem Hans Kyei nach einer Ecke noch an Illertissens Torwart Patrick Rösch gescheitert war (12.). Das beruhigt die Nerven, während das Benz-Stadion noch eine Weile nach bebt.
15.53 Uhr: Dass Daniel Reule auch aus der Distanz trifft, hätte Illertissen spätestens nach dem Reutlingen-Spiel wissen müssen. Dennoch darf der Mann mit der Nummer sieben auf dem Rücken aus 20 Metern aus halbrechter Position unbedrängt Maß nehmen. Wie der berühmte Strich zischt die Kugel ins Netz (22.) "Nie wieder, Oberliga", skandiert die voll besetzte Osttribüne.
16.06 Uhr: Aller guten Dinge sind drei. Mit einem Hattrick macht Reule den Aufstieg vorzeitig perfekt. Ecke Gmünder, der Stürmer hält den Kopf hin (35.). "Ende mit Liga fünf", signalisiert der Stürmer mit der flachen Hand über dem Rasen. Die Gelbe Karte für den trikotlosen Jubel nimmt der 28-Jährige nach seinem zehnten Saisontor gerne mit.
16.08 Uhr: Ach ja, Waldhof hat ja noch einen Torjäger. Hans Kyei erzielt in seinem letzten Spiel für die Mannheimer nach einem Konter über Fitim Fazlija sein 18. Saisontor zum 4:0 (38.). Der VfL Bochum II darf sich über diesen Neuzugang freuen. Waldhof wird Ersatz brauchen.
16.10 Uhr: Gleich nochmal Jubel.in Jet-Lautstärke. Doch nicht der SVW hat getroffen, sondern Villingen in Nöttingen. Es läuft einfach alles für Blau-Schwarz.
16.38 Uhr: Die Kulisse erfreut sich nach der Pause an sich selbst. Wechselgesänge, La Ola - was man mit einem voll besetzten Stadion eben so anstellen kann. Mit dem Handy werden auf den Sitzplätzen die ersten Erinnerungsvideos gemacht.
16.43 Uhr: Hans Kyei wird ausgewechselt und erhält stehende Ovationen.Waldhof-Trainer Reiner Hollich verbeugt sich vor seinem Angreifer.
16.59 Uhr: Mit Daniel Reule darf der Dreifach-Torschütze vom Platz und ebenfalls im Beifall baden.
17.01 Uhr: Waldhof hat noch nicht genug. Unter gnädiger Mithilfe der Illertissener Abwehr wurstelt sich Oliver Malchow durch den Strafraum und erzielt das 5:0 (75.).
17.06 Uhr: Waldhofs weitgehend beschäftigungsloser Torwart Markus Kolke blickt auf die Anzeigetafel und reißt die Arme hoch - Nöttingen liegt 0:2 zurück.
17.10 Uhr: SVW-Präsident Steffen Künster posiert am Spielfeldrand für die ersten Jubelfotos.
17.15 Uhr: Schiedsrichter Kempter pfeift ab. Die glücklichen Fans strömen auf den Platz, der SV Waldhof ist am Ziel.
Stimmen zum Spiel
Dr. Peter Kurz, Oberbürgermeister der Stadt Mannheim: Der Fußball ist zurück in Mannheim. An dieser Kulisse und der Begeisterungsfähigkeit der Fans wird deutlich, was der SV Waldhof und die Stadt Mannheim für ein Potenzial haben, er SVW hat mit seiner Aufholjagd, der Meisterschaft und dem Aufstieg ein Signal gesetzt und eine solide Basis für die Zukunft gelegt.
Rony Zimmermann, Präsident des Badischen Fußball-Verbandes (BFV): Ehrlich gesagt habe ich auf den SV Waldhof nach der Winterpause nicht mehr viel gegeben. Für die Waldhöfer muss das wie ein Traum sein, die 13 Punkte auf Nöttingen noch aufgeholt zu haben. Die Stimmung im Stadion war phänomenal - und das bei einem Oberliga-Spiel. Und ein weiterer Regionaligist aus dem Verbandsgebiet kann dem BFV nie schaden. Was mir nicht gefallen hat, war die viele Pyrotechnik, dieses Zündeln nach dem Spiel.
Steffen Künster, Präsident des SV Waldhof: Das ist ein Traum. Das ist unvorstellbar, was heute abgegangen ist. Mannheim hat gezeigt, dass es Hunger auf Fußball hat und mehr will. Als ich im Dezmeber letzten Jahres dieses Amt angetreten habe, hätte ich nie gedacht, dass wir das noch schaffen können. Gratulation, heute ist ein großer Tag für die Mannschaft und die Stadt. Das war ein Startschuss. Aber wir werden nicht von unserer Linie abweichen und unsere Arbeit fortführen wie bisher. Mannheim hat dem SVW eine Chance gegeben. Die haben wir heute sicher nutzen können.
Klaus Hafner, Vizepräsident des SV Waldhof: Ich bin innerlich total aufgewühlt. Das ist einfach irre. Jetzt müssen wir die Stadt und die Region noch mehr überzeugen, was möglich ist. Die Arbeit macht nun umso mehr Spaß.
Dr. Georg Müller, Vorstandsvorsitzender von Hauptsponsor MVV Energie AG: Gratulation an den SV Waldhof, die Mannschaft, das Präsidium und alle Beteiligten. Heute darf gefeiert werden. Aber es darf auch in Zukunft nicht vergessen werden, seriös zu arbeiten. Der SVW ist der Fußballverein der Stadt Mannheim, das hat man heute angesichts dieser Kulisse wieder einmal gesehen. Deshalb haben wir uns auch schon früh entschieden, unser Engagement zu erhöhen.
Karl-Heinz Bührer, Ex-Waldhof-Profi in der Bundesliga: Der SV Waldhof lebt und muss einfach nur geweckt werden. Das hat man heute wieder gesehen. Es ist sensationell, das einmal von der Tribüne aus zu sehen. Als Spieler hatten wir da immer eine ganz andere Perspektive. Jetzt muss man mit Geduld in die Regionalliga gehen und dort einen schönen Zuschauerschnitt auf die Beine stellen, dann wird auch wieder die regionale Wirtschaft INteresse zeigen. Ich drücke die Daumen, dass die Verantwortlichen jetzt auch weiter das passende Händchen haben und Spieler holen, die passen.
Thorsten Rinke, Spieler des FV Illertissen: Es ist Wahnsinn, was Mannheim und heute geschenkt hat. Wir sind sehr dankbar für diese tolle Atmosphäre. Das Ergebnis rückt da schon etwas in den Hintergrund. So etwas werden wir wohl nicht mehr erleben.
