von stone » 03.09.2010, 21:45
Freitag, 3. September 2010
Selbstbetrug der Profis - Kommentar zur Ligareform
von Carsten Pilger
Jeder kennt die Sorte Menschen, die zum notorischen Lügen neigen. Mit jeder Wiederholung ihrer Lügen verdrängen sie die Tatsache, dass sie Unwahres verbreiten, und schenken ihren Worten immer mehr glauben. Zu dieser Spezies gehören auch die Vertreter der 36 Profivereine der 1. und 2. Bundesliga. Denn die ihre Begründung, warum die Regionalliga nicht reformiert werden sollte, ist bei Betrachtung der Fakten unhaltbar.
Das Nachwuchs-Argument
Das stärkste Argument, das die Profivereine anführen, ist die Nachwuchsarbeit. "Wir geben doch nicht Millionen für die Leistungszentren aus, um hinterher in irgendeiner witzlosen Reserverunde herumzuturnen", sagte Heribert Bruchhagen von Eintracht Frankfurt. Übersetzt heißt das: Wir geben Geld aus, also lasst uns gefälligst auch da spielen, wo wir wollen. Das Argument hinkt. Jugendleistungszentren haben den Sinn, junge Spieler auszubilden und auf einem hohen Niveau, was Training und Betreuung angeht, auf den späteren Profialltag vorzubereiten. Ob die Jugendspieler nun ihre Wettbewerbfähigkeit in der 3. Liga und Regionalliga testen oder in eigenen Runden antreten sollen, geht daraus nicht hervor.
Auf- und Abstieg lauten die Zauberworte. Wenn Amateurmannschaften um Klassenverbleib oder Meisterschaft spielen dürfen, so der Kern des Arguments, verbessern sich automatisch die Leistungen der Spieler und die Ausbildung gewinnt an Qualität. Dennoch bleibt die Frage: Was ist die zwingende Begründung, dass dies in 3. Liga und Regionalliga erfolgen muss? Wäre es bei 36 Profivereinen in Deutschland, die allesamt über qualitativ hochwertige Jugendleistungszentren verfügen, nicht ein einfaches, eine eigene Ligen mit Auf- und Abstieg im Bereich der U23-Altersklassen aufzustellen? Vielleicht würde dies sogar letztlich zu einer Verbesserung der Ausbildung führen?
Die Zuschauer-Lüge
"Das Argument der Amateure, dass sie Zuschauereinbußen hätten, stimmt nicht. Und den Wettbewerb verfälschen wir auch nicht, weil niemand Lizenzspieler delegiert, um die zweite Mannschaft zu stärken", sagt Bruchhagen weiter. Tatsächlich stimmt nicht, was Bruchhagen behauptet. Liest man sich die Zuschauerstatistiken der Regionalliga West für die vergangene Saison durch, so landen mit Ausnahme des FC Schalke 04 II (1.330 Zuschauer im Schnitt) alle Bundesligareserven in der unteren Tabellenhälfte. Der Beste von ihnen, Mainz 05 II, hatte nicht einmal 600 Zuschauer im Durchschnitt. Den Zuschauerschnitt von Waldhof Mannheim (3.502), Saarbrücken (4.796) und Rot-Weiß Essen (5.955) erreicht keine Zweite Mannschaft auch nur annähernd. Saarbrücken stieg zum Saisonende auf, Mannheim und Essen erhielten keine Lizenz für die Regionalliga.
Die Zuschauerzahlen der Bundesligareserven zeigen deutlich, dass sie unter dem normalen Regionalliga-Niveau liegen. Man muss kein großer Rechner sein, um zu erkennen, dass Bruchhagens Aussage unsinnig ist. Wäre die Regionalliga ausschließlich mit Amateurteams besetzt, würden auch die Zuschauerzahlen, und damit die Einnahmen, steigen.
Versetzung aus sportlichen Gründen?
Auch der zweite Teil von Bruchhagens Behauptung, es läge keine Wettbewerbsverzerrung seitens der Bundesliga-Teams vor, lässt sich bei Betrachtung der Tatsachen, kaum halten. Es existiert kein ausschließliches Verbot für Lizenzspieler innerhalb von Bundesligareserven. Insofern halten sich alle 36 Profivereine an die Regeln. Allerdings liest sich die Liste der Spieler, die in der Saison 2009/10 innerhalb der Zweiten Mannschaft ihres Vereins zum Einsatz kamen, zum Teil sehr beachtlich:
Bayer Leverkusen: Stefan Reinartz, Hans Sarpei, Daniel Schwaab, Lukas Sinkiewicz, Tomasz Zdebel, Lars Bender
FC Schalke 04: Joel Matip, Christian Pander, Albert Streit
VfL Wolfsburg: Jan Simunek, Vlad Munteanu
Hamburger SV: Marcell Jansen
Hannover 96: Florian Fromlowitz, Sofian Chahed, Jan Rosenthal, Mikael Forssell, Valdet Rama, Jan Schlaudraff
Eintracht Frankfurt: Ralf Fährmann, Patrick Ochs, Zlatan Bajramovic, Ümit Korkmaz, Christoph Preuß, Markus Steinhöfer
Das ist nur eine Aufstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit. In den drei Regionalligen stiegen 2009/10 nur zwei Bundesligareserven ab: Hansa Rostock und der FC St. Pauli. Nur St. Pauli erlebte einen sportlichen Abstieg, Rostock zog seine Mannschaft zurück. Fest steht: Das Urteil, dass Profivereine ihre Lizenzspieler zur Unterstützung in die Zweite Mannschaft delegieren, ist zu pauschal und ungerecht gegenüber Mannschaft, bei denen das Kürzel "U23" im weitesten Sinne auch zutrifft. Die Behauptung des Gegenteils, wie Bruchhagen sie aufstellt, ist allerdings unhaltbar. Er hätte sich mal besser den Kader seiner U23-Eintracht letztes Jahr angesehen.
An den Unwahrheiten packen
Was bleibt? Vor dem DFB-Bundestag in Essen scheint die Regionalliga-Reform zwar noch nicht gescheitert, allerdings versetzt ihr das Veto der Profivereine einen erheblichen Dämpfer. Man kann nur darauf hoffen, dass die Amateurvereine nun ihrerseits die Vorlage der Profivereine innerhalb der Debatte ergreifen - und sie anhand ihrer eigenen, faulen Ausreden überführen.
(Daten: weltfussball.de, fussballdaten.de)
Linktipp: Pro Regionalliga-Reform 2012