Entscheidung über Mannheimer Waldhof-Stadion erst bis Ende 2024
Ob das Carl-Benz-Stadion in Mannheim modernisiert oder ein neues für den SV Waldhof gebaut wird, soll nun erst bis Ende 2024 entschieden werden. Für Rollstuhlfahrer ist eine Übergangslösung geplant
Auf den ersten Blick haben es Rollstuhlfahrer im Carl-Benz-Stadion nicht schlecht. Ihr Unterstand ist direkt neben der Trainerbank. Sie sehen nicht nur das Fußballspiel aus nächster Nähe, sondern bekommen auch die Kommunikation zwischen Coach Rüdiger Rehm und den Spielern mit. Man könne nach dem Abpfiff auch mal um ein Trikot bitten, berichtet Tobias Stahl.
„Doch die Nachteile überwiegen ganz klar die Vorteile.“ Im Sommer seien sie der prallen Sonne ausgesetzt, auch vor Wind und Regen biete der undichte Unterstand kaum Schutz. Das sei gefährlich, weil einige von ihnen unter Herz-, Lungen- oder Nierenproblemen litten. Zudem bestehe das Risiko, einen Ball ins Gesicht zu kriegen.
Eigentlich sind Rollstuhlfahrer in Stadion-Innenräumen mittlerweile verboten. In Mannheim hat sie aber noch kein Schiedsrichter weggeschickt. Täte es mal einer, müssten sie an den unteren westlichen Rand der Haupttribüne. Dort wäre die Sicht durch den Zaun sehr eingeschränkt, Schutz vor Sonne, Sturm oder Regen gäbe es ebenfalls kaum.
Stadionsprecher des SV Waldhof macht Stadt Mannheim heftige Vorwürfe
Im letzten Heimspiel gegen Dortmund II, zu dem der SV Waldhof einen Inklusionstag veranstaltete, machte der Stadionsprecher der Stadt heftige Vorwürfe. Sie sei an den miesen Verhältnissen für Rollstuhlfahrer schuld, schimpfte er vor Anpfiff und in der Halbzeit.
Die Schelte über die Stadt kommt insofern überraschend, als die Waldhof-Bosse mit dem Ausgang der Oberbürgermeister-Wahl sehr zufrieden sind. Präsident Bernd Beetz hatte sich mehrfach für Christian Specht ausgesprochen, weil sich der Christdemokrat für den Bau eines neuen Stadions aufgeschlossen zeigte. Warum also nun der Unmut?
„Es geht nicht um Kritik“, teilt dazu SVW-Geschäftsführer Markus Kompp mit. Natürlich habe man am Inklusionstag neben anderen Aktionen auf die Situation der Rollstuhlfahrer aufmerksam machen wollen. Das Problem sei schon lange bekannt und keine Lösung gefunden.
Bislang war von städtischen Vertretern zu hören, der Bau eines neuen Behinderten-Bereichs mache erst Sinn, wenn die Stadionfrage gelöst sei. Zum Zeitplan teilt ein Stadtsprecher nun dem „MM“ mit: „Die Entscheidung über eine Sanierung des Carl-Benz-Stadions oder einen Neubau an anderer Stelle soll nach Vorlage aller Gutachten und intensiver Beratung bis Ende 2024 erfolgen.“
Das bedauert Kompp, eigentlich sollten schon dieses Jahr alle Fakten vorliegen. Besser sei doch, nach der Bundestagswahl 2021 und der OB-Wahl nicht auch noch bei der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 über die Stadionfrage diskutieren zu müssen. „Es sollte zeitnah entschieden werden, ob Profifußball in Mannheim eine Zukunft hat.“
Er könne nachvollziehen, wenn jemand in der jetzigen sportlichen Situation - der SV Waldhof steht auf einem Abstiegsplatz und empfängt am Sonntag den Tabellenletzten Duisburg - kein Verständnis für eine Diskussion ums Stadion habe. „Unsere Aufgabe ist es allerdings, den Verein über die nächsten Jahre hinweg weiterzuentwickeln.“ Die Entscheidung über einen Neubau auf die lange Bank zu schieben, liege angesichts der massiven Probleme im Carl-Benz-Stadion und der finanziellen Belastung für die Stadt auch nicht im Interesse der Steuerzahler.
Übergangslösung auf der Südtribüne?
Auf die Frage, ob sie sich vom neuen Oberbürgermeister mehr Tempo wünschen würden, antwortet Kompp: „Mit Herrn Specht pflegen wir seit Jahren einen professionellen und offenen sowie zielorientierten Austausch.“ Daran habe sich nichts geändert. Sie hofften aber, künftig auch im zuständigen Sportdezernat Gehör zu finden, „nicht wie zuletzt bei den Rollstuhlfahrern“.
Für die könnte sich der SVW-Geschäftsführer eine Übergangslösung auf der Südtribüne vorstellen. Dort gebe es - auch wenn im Carl-Benz-Stadion nichts einfach sei - die Möglichkeit, unter dem Dach eine Fläche zu schaffen, auf der Rollstuhlfahrer vor der Witterung geschützt seien und gut sehen könnten.
Die Stadt prüft nach Angaben des Sprechers derzeit gerade die Machbarkeit einer provisorischen Einrichtung. Die könnte rollstuhlgerechte Rampen und Podeste mit Gerüstbau-Elementen aufweisen.
Specht machte sich im März ein Bild von der Situation der Rollstuhlfahrer im Stadion. Gefragt, was der Christdemokrat dagegen unternommen habe beziehungsweise unternehmen wolle, antwortet der Sprecher: „Er setzt sich dafür ein, zeitnah Übergangslösungen mit barrierearmem Zugang und guter Sicht für die Fans im Rollstuhl zu schaffen.“
Für Aufsehen sorgte Spechts damaliger Besuch vor allem, weil er dabei die von Beetz gewünschte Kapazität eines neuen Stadions - Tage zuvor hatte der sie im „MM“-Interview mit 15.000 angegeben - zu niedrig nannte. Der Mäzen korrigierte sie umgehend auf 20.000. Auf die Frage, ob es zwischen beiden heute noch einen direkten Draht gebe, heißt es vom Stadtsprecher: „Der Oberbürgermeister steht - ebenso wie mit anderen Vereinsvorsitzenden - auch mit dem Präsidenten des SVW in einem sachlichen Austausch.“
Kritik am Inklusionstag des SV Waldhof Mannheim
Zu den Rollstuhlfahrern, mit denen Specht bei seinem Besuch sprach, gehört auch Tobias Stahl. Der schilderte ihm die Probleme. „Ich habe schon den Eindruck, dass das bei ihm ankam“, sagt er. Jedenfalls habe Specht mehr Verständnis gezeigt als diverse Vertreter des Sportdezernats von Ralf Eisenhauer. Er hoffe nun sehr, dass sich mit einer provisorischen Lösung schnell etwas ändere. Die jetzige Situation sei einfach „ein No-Go“. Und dauerhaft wären überdachte Plätze toll, die man barrierefrei - idealerweise mit einem Aufzug - erreichen könne und auf denen man gut sehe. „Nicht wie in der SAP Arena, wo die Zuschauer in den letzten Minuten aufspringen und einem vor der Nase stehen.“
Etwas enttäuscht zeigt sich Stahl auch vom Inklusionstag beim SVW, der mit auf Anregung der Rollstuhlfahrer zustande gekommen sei. „Aber warum macht man so etwas bei einem Freitagabendspiel, wo viele von der Arbeit erst kurz vor Anpfiff ins Stadion kommen?“ An einem Samstag oder Sonntag hätten die Aktionen mehr Beachtung gefunden.
Quelle: Mannheimer Morgen