Warum der SV Waldhof auf verlorene Jahre zurückblickt
Die Realität beim SV Waldhof Mannheim heißt auch in dieser Saison Abstiegskampf. Zur sportlichen Stagnation gesellen sich wirtschaftliche Sorgen und die ungelöste Stadionfrage. Unsere große krirische Analyse
VOR 1 STUNDE VON ALEXANDER MÜLLER
Dunkle Wolken über der Waldhof-Fahne: Der Mannheimer Traditionsverein kämpft mit sportlichen und wirtschaftlichen Problemen.
Mannheim. Wenn es einen Sachverständigen gibt, der Fragen zum SV Waldhof ehrlich, kompetent und trotzdem loyal beantworten kann, heißt er Marcel Seegert. Der Kapitän mit dem blau-schwarzen Herzen war in den vergangenen Jahren immer mittendrin. Bei der Rückkehr in den Profifußball 2019 nach einer Ära in der sportlichen Bedeutungslosigkeit. Bei den ersten Spielzeiten in der 3. Liga, als es nur eine Frage der Zeit schien, bis der SVW noch eine Etage weiter oben aufschlägt. Und beim schleichenden Abwärtstrend seit mittlerweile zweieinhalb Jahren, der die Mannheimer in der furchtbaren Vorsaison fast zurück in die Regionalliga befördert hätte.
Als Seegert vor seinem 300. Spiel für den Waldhof gegen Erzgebirge Aue im Oktober von dieser Redaktion gefragt wurde, was er sich für die Zukunft seines Herzensclubs wünsche, machte er eine bemerkenswerte Aussage, die tief blicken ließ. „Die letzten ein, zwei Jahre waren schon sehr anstrengend. Es war eine gewisse Negativität drin“, sagte er. Er hoffe, dass der Verein es schaffe, wieder in einen positiven Flow wie in den Jahren zwischen 2015 und 2020 zu kommen. „Wir hatten Kontinuität drin, das eine Rädchen hat ins andere gegriffen, wir hatten das Momentum auf unserer Seite. Da fiel vieles leichter, es hat einfach Spaß gemacht. Das würde ich mir wieder wünschen.“
Denn dieser positive Flow ist weg. Der SV Waldhof stagniert in der sechsten Saison in der 3. Liga auf niedrigem Niveau – der Mannheimer Traditionsverein blickt auf verlorene Jahre zurück. Sportlich geht es auch in dieser Saison ausschließlich darum, die Klasse zu halten. Perspektiven für mehr bietet der aktuelle Kader nicht. Wirtschaftlich steigen die Millionen-Zuschüsse, die Präsident Bernd Beetz zur Existenzsicherung in die Mannschaft pumpen muss, dennoch mit jeder Jahresbilanz. Und ob das von Beetz vorangetriebene große Infrastruktur-Projekt Stadion-Neubau, das die Einnahmensituation verbessern soll, jemals umgesetzt werden kann, ist ungewiss. Das klingt nach einer auf Dauer toxischen Mischung.
Doch wie ist der SVW in diese Stagnation hinein geraten? Und wie könnte wieder eine positive Entwicklung angestoßen werden? Unsere große kritische Analyse.
Die Zäsur: Wann die Ära des sportlichen Abschwungs beginnt
Der 27. Oktober 2021 markiert einen Einschnitt in der jüngeren Vereinsgeschichte. Es gibt nicht wenige im Umfeld des SV Waldhof, die der Überzeugung sind, dass es seitdem sukzessive bergab geht. An diesem Tag beurlaubt der Verein den Sportlichen Leiter Jochen Kientz.
Nachvollziehbare fachliche Gründe für den Rauswurf gibt es keine, vielmehr soll ein Zerwürfnis des Managers mit dem damals mächtigen Geschäftsführer Markus Kompp den Ausschlag gegeben haben. Als Präsident Beetz Kientz vorwirft, er sei für Unregelmäßigkeiten bei einem Corona-Test verantwortlich – eine später vor dem Arbeitsgericht wieder zurückgenommene Anschuldigung – resultiert daraus eine öffentliche Schlammschlacht.
Kientz gilt als der Architekt der Aufstiegsmannschaft 2019 und als strategischer Kopf hinter dem Aufschwung der erfolgreichen Jahre zwischen 2018 und 2022. Ein Ex-Profi mit gutem Auge für Talente mit Entwicklungspotenzial. Aber auch ein harter Verhandler, ein Mensch mit Ecken und Kanten.
Wenn man heute mit ein wenig Abstand auf seine Personalpolitik blickt, fällt auf, dass die Transfer-Coups die Flops klar überwiegen. Der Sportchef holt namhafte Verstärkungen wie Max Christiansen, Marco Höger oder Marc Schnatterer nach Mannheim. Spieler, die zuvor in anderen fußballerischen Sphären unterwegs waren. Auch Jesper Verlaat, Dominik Martinovic, Jan-Hendrik Marx oder Adrien Lebeau sind starke Kientz-Verpflichtungen. Seit der Ketscher gehen muss, wird die Mannschaft in fast jeder Transferperiode immer schlechter.
Bei der Wahl des zum Personal passenden Trainers beweist der Kaderplaner ebenfalls ein gutes Gespür: Aufstiegscoach Bernhard Trares ist mit seiner Fähigkeit, als empathische Vaterfigur eine funktionierende Einheit zu bilden, genau der Richtige. Unter Trares-Nachfolger Patrick Glöckner spielt der SV Waldhof zwei Jahre lang mit den spektakulärsten Fußball der 3. Liga. Ein rasanter Umschaltstil mit vielen Toren, auch um den Preis einer teilweise anfälligen Defensive.
Nach dem 9. Platz in der durch die Corona-Pandemie unterbrochenen ersten Drittliga-Saison 2019/2020 mit Trares geht es unter Glöckner über Platz acht (2020/2021) und Platz fünf (2021/2022) immer weiter nach oben in der Tabelle. Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass der SVW am Ende bisher nie wieder besser als in der zweiten Glöckner-Saison dastehen soll. Nur drei Punkte fehlen zum Relegationsplatz.
Der Trainer aber, genervt von der Dauerkritik und zu hohen Erwartungen, verlängert seinen Vertrag „in beiderseitigem Einvernehmen“ lieber nicht. „Wenn wir inhaltlich zusammengekommen wären und beide Seiten ein gutes Gefühl mit der entsprechenden Wertschätzung gehabt hätten, dann wäre das natürlich denkbar und reizvoll gewesen“, sagt Glöckner zu den Gründen, warum er den SVW verlässt.
Er ist auch ein Opfer des blau-schwarzen Übermuts jener Tage. Es ist die Zeit, in der die Waldhof-Verantwortlichen die ganz großen Töne spucken. „Ab sofort heißt es: Wir werden jedes Spiel gewinnen“, postuliert Geschäftsführer Kompp. Glöckner-Nachfolger Christian Neidhart bekommt im Sommer 2022 den klaren Auftrag mit auf den Weg, in die 2. Liga aufzusteigen.
Der blasse neue Sportchef Tim Schork, zuvor Chefscout unter Kientz, soll dafür den passenden Kader bauen. Das Ergebnis ist viel schlechterer Fußball als unter Glöckner. Die Mannheimer sind in der Heimtabelle zwar weit vorn, treten auswärts aber wie ein Absteiger auf. Das ergibt in Summe Platz sieben. Neidhart hält nach einer Niederlage gegen Oldenburg eine Brandrede, in der er sich über mangelnde Rückendeckung von der SVW-Spitze beklagt („Bin hier nicht der Prügelknabe“) – nach dem letzten Saisonspiel wird der Vertrag mit dem Trainer aufgelöst.
In der nächsten Spielzeit schlittert der selbsternannte Aufstiegskandidat sogar in eine existenzielle sportliche Krise. Der herrlich nostalgisch klingende Versuch, in Ex-SVW-Profi Rüdiger Rehm einen Trainer mit Stallgeruch zu installieren, scheitert schon nach einem guten halben Jahr. „Feuerwehrmann“ Marco Antwerpen bekommt nach erfolgreicher Rettungsmission sofort einen Zwei-Jahres-Vertrag, muss aber nach dem fünften Spieltag dieser Saison und dem Absturz auf den letzten Platz auch schon wieder gehen. Das Tischtuch zwischen Antwerpen und der Mannschaft sowie dem neuen Sportchef Anthony Loviso ist zerschnitten.
Seit Mitte September müht sich in Rückkehrer Bernhard Trares nun der dritte Trainer innerhalb von elf Monaten mit einer fußballerisch limitierten Mannschaft ab, die auf kaum einer Position über gehobenes Drittliga-Format verfügt. Und bei der anders als zu Kientz-Zeiten auch nur wenig Fantasie für eine positive Entwicklung in der Zukunft steckt. Geld für eine dringend notwendige Generalüberholung des Kaders ist auch kaum noch da. Der unbefriedigende Status quo ist das Ergebnis aus drei verlorenen Jahren, in denen drei Sportchefs und fünf Trainer mit verschiedenen Spielideen an den Personalplanungen beteiligt waren.
Der SV Waldhof, der noch im Sommer 2022 mit aller Macht in die 2. Bundesliga aufsteigen wollte, droht zur grauen Maus der 3. Liga zu werden. Ein Verein, der trotz eines konkurrenzfähigen Etats regelmäßig um seine Existenz im Profifußball kämpfen muss.
Der mächtige Mann im Hintergrund: Christian Beetz
Wenn man die Frage stellt, welchen Einfluss Christian Beetz, Sohn von Präsident Bernd Beetz und Aufsichtsratschef der Spielbetriebs-GmbH, auf die sportlichen Entscheidungen hat, gibt es zwei Antworten. Eine offizielle, und eine inoffizielle. „Ich bin da nicht so nah dran“, sagt der 47-Jährige bei einem Auftritt im Fanradio „Doppelpass“ im September, als er auf die Gründe für die an jenem Tag verkündete Trennung von Trainer Antwerpen angesprochen wird.
Nicht so nah dran am Tagesgeschäft? Es gibt gut informierte Quellen im SVW-Umfeld, die ein ganz anderes Bild zeichnen. Demnach hat Christian Beetz nicht erst seit dem Rauswurf von Geschäftsführer Markus Kompp, über den er trotz immenser Kritik sehr lange die Hand gehalten hatte, im Hintergrund die wichtigen Entscheidungen an sich gerissen. „Er darf aus einer unantastbaren Position heraus die Fußballmanager Millionärssohn-Edition spielen“, lästert ein Fan in einem Internet-Forum zum SV Waldhof.
Vor allem bei der Auswahl der Trainer und Sportlichen Leiter soll Christian Beetz das letzte Wort haben. Er habe sich dreimal mit dem ehemaligen KSC-Manager Oliver Kreuzer getroffen, plauderte der 47-Jährige bei seinem Besuch im Fanradio offen aus.
Neben der grundsätzlichen Problematik, dass der Präsidenten-Sohn als Aufsichtsratschef das operative Geschäft kontrollieren und es natürlich nicht selbst leiten soll, wirft die mögliche Machtfülle von Christian Beetz auch andere Fragen auf. Etwa die, inwieweit die sportliche Leitung autark ihre Entscheidungen treffen kann. Auf Grundlage welcher Fußball-Kompetenz sich Christian Beetz in das Tagesgeschäft einmischt. Und ob diese ungewöhnliche Konstellation negative Auswirkungen auf eine positive Entwicklung des SV Waldhof hat.
Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Schon nach der 0:1-Pokalblamage bei Landesligist Gommersdorf will Sportchef Loviso nach Informationen dieser Redaktion Trainer Antwerpen beurlauben. Christian Beetz soll das mit seinem Veto verhindert haben. Nur um eine Woche später, nach einem 1:1 in der Liga bei Hansa Rostock, dem Rauswurf doch zuzustimmen. Ein schwer nachvollziehbares Manöver.
Schon Antwerpens Vorgänger Rüdiger Rehm war ausgerechnet nach der besten Saisonleistung und einem 4:1-Sieg beim Halleschen FC freigestellt worden. Der frühere Sportchef Schork soll intern zweimal seine eigenen Trainerkandidaten nicht durchgesetzt bekommen haben, weil Christian Beetz und Kompp intervenierten. Schork musste auf deren Geheiß Neidhart und Rehm verpflichten.
Präsident Bernd Beetz und die unsichere Stadion-Wette
Der Präsident leistet sich ein sehr teures Hobby. Wenn man überschlägt, wie viel Geld Bernd Beetz seit seinem Einstieg als Investor 2016 in den vergangenen acht Jahren in den SV Waldhof gesteckt hat, kann einem schnell schwindlig werden. Auf bis zu 30 Millionen Euro dürfte sich das Beetz-Engagement beim SVW mittlerweile summieren. Trotzdem ist der Schuldenstand der Spielbetriebs-GmbH auf über zehn Millionen Euro gestiegen.
Was den 74-Jährigen, zuletzt als neuer Miteigentümer des Handelsriesen Galeria bundesweit in den Schlagzeilen, zunehmend frustriert: Es ist auch perspektivisch keine Besserung der schlechten Einnahmensituation in Sicht. Die Sponsorenunterstützung bewegt sich weiter auf unterem Niveau, das 1994 eröffnete Carl-Benz-Stadion bietet keine Möglichkeiten, über neue VIP- und Hospitality-Bereiche mehr Geld zu generieren. „Wir verlieren Stück für Stück Wettbewerbsfähigkeit“, sagt Beetz Ende Oktober. „Ich bin bereit, das weiter zu schultern, aber auch meine Geduld ist endlich.“
Den Ausweg aus der Misere soll nach dem Wunsch des Mäzens der Neubau eines Stadions bieten. Hinter den Kulissen macht Bernd Beetz seit Jahren Druck bei diesem Thema, bei dem er aber auf die Unterstützung der Mannheimer Kommunalpolitik angewiesen ist – auch wenn er das Projekt nach eigenen Angaben vorfinanzieren könnte. In Oberbürgermeister (und Waldhof-Fan) Christian Specht setzt der Präsident große Hoffnungen. Doch im Gemeinderat zeichnet sich zurzeit keine Mehrheit für einen Neubau ab.
Bei den jüngsten Etatberatungen geht es stattdessen vielmehr darum, an welcher Stelle die zum Beispiel durch die Nationaltheater-Sanierung wirtschaftlich stark belastete Kommune Geld sparen kann. Ein Großprojekt wie ein neues Waldhof-Stadion scheint in diesen Zeiten schwer durchsetzbar zu sein, auch wenn es bei der Suche nach einem geeigneten Areal mit dem Großparkplatz P20 nahe des City Airports mittlerweile ein nach Expertenmeinung taugliches Gelände gibt.
Selbst wenn der Gemeinderat grünes Licht für einen Neubau oder eine Komplettmodernisierung des Carl-Benz-Stadions geben sollte, würde es bis zur Fertigstellung noch lange dauern. Zwei Beispiele: In Mainz (Neubau) wurde vier Jahre nach dem Baubeschluss erstmals in der neuen Arena gespielt, in Karlsruhe (Umbau) mussten die KSC-Fans fast fünf Jahre mit einer Baustelle leben. Das Thema Stadion ist für den SV Waldhof eine unsichere Wette auf eine bessere Zukunft.
Kurzfristige Linderung der chronischen Finanzprobleme – allein in der vergangenen Saison musste Beetz fast fünf Millionen Euro in den Lizenzspieleretat pumpen – können deshalb nur neue und zahlungskräftige Sponsoren bringen. Doch bei der Suche nach Geldgebern tut sich der SVW traditionell schwer. „Überall sind die städtischen Betriebe, die Wasserwerke, die Sparkassen oder die Wohnungsbaubetriebe Sponsoren. Warum das bei uns anders ist, dafür habe ich keine total schlüssige Erklärung“, sagt Beetz.
Zu dem Akzeptanzproblem in der regionalen Wirtschaft gesellen sich interne Strategieprobleme. Der SVW sucht weiter nach einer festen, nachhaltigen Struktur im Vertrieb. In Christopher Körner hat sich im Dezember nach nur einem halben Jahr der Verantwortliche fürs Sponsoring schon wieder verabschiedet.
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