Kehrtwende: Austauschstudentin Shannon Broderick fand Mannheim auf den ersten Blick abstoßend – änderte ihre Meinung innerhalb von fünf Monaten aber radikal
Liebeserklärung an „hässliche Stadt“ Von unserem Redaktionsmitglied Cassandra Lajko
Kopfsteinpflaster, Fachwerkhäuser und würdevoll aussehende Statuen - das war Shannon Brodericks Vorstellung von deutschen Städten allgemein und Mannheim im Speziellen. Die 21-jährige US-Amerikanerin hat ein Austauschsemester in der Kurpfalz verbracht und darüber einen Artikel für ihre Uni-Zeitung in Massachusetts geschrieben, der jetzt in sozialen Netzwerken viel Aufmerksamkeit findet. Der Titel: "Leben in der zweithässlichsten Stadt Deutschlands". Der erste Satz: "Meine ersten flüchtigen Blicke auf Mannheim waren nicht vielversprechend." Der letzte Satz: "Mannheim war Heimat." Die angehende Journalistin hat eine Liebeserklärung an und über Mannheim geschrieben, in der sie schildert, wie sich ihre Wahrnehmung der Stadt verändert hat.
Versteckte, schöne Plätze
"Ich glaube, je mehr Straßen ich entlang gelaufen bin, je mehr ich gesehen habe, desto interessanter wurde die Stadt", erzählt Shannon bei einem Telefoninterview. Sie habe "Süddeutschlands hässliches Entchen", wie sie Mannheim in ihrem Artikel nennt, viel erforscht, sei allein oder gemeinsam mit Freunden umhergezogen und habe alles schon nach zwei oder drei Wochen gar nicht mehr so hässlich gefunden. "Als ich einige versteckte Plätze gefunden habe, fing ich an, die Stadt zu lieben. In meiner Nachbarschaft zum Beispiel, die Alte Feuerwache, das war einer dieser versteckten Plätze." Sie habe gelernt, die Stadt anders zu betrachten, intensiver nach Spuren "schwanenhafter Schönheit" zu suchen - und habe sie gefunden. In den kleinen überwucherten Gärten hinter großen Gebäuden, den Bars und leicht maroden Häusern im Jungbusch, dem Café Vienna in den Quadraten.
Dabei war sie am Anfang doch leicht schockiert von den schnörkellosen Fassaden in der Innenstadt, den trostlos wirkenden Häuserblocks, den vorherrschenden dumpfen Farben, den dicht an dicht gedrängten Fabriken am Rheinufer. Und die US-Amerikanerin war mit ihren Eindrücken nicht allein: Auch andere Austauschstudenten, so erzählt sie, fanden Mannheim einfach nur hässlich. "Für viele war die Stadt nicht die erste Wahl für ihr Austauschsemester", berichtet Shannon. Wegen der guten Universität seien sie trotzdem gekommen. "Am Ende wollte keiner von ihnen Mannheim verlassen", sagt die Studentin lachend. Unter ihrem Artikel stehen rund 90 Kommentare - auch ihre Leser geben der jungen Autorin Recht: Mannheim sei super, hässlich hin oder her.
Shannon erfuhr unter anderem, dass Mannheim die Geburtsstätte des Autos und des Fahrrads ist - "hinter dem unansehnlichem Äußeren liegt eine reiche Geschichte voller Musiker, deutscher Adliger und großen Erfindungen", schreibt die 21-Jährige. Sie habe sich darüber gefreut, dass die Stadt nicht vor Touristen überquelle - im Gegensatz zu Heidelberg etwa. Die Bewohner des "hässlichen Entleins" hat Shannon als sehr hilfsbereit empfunden. Eine Frau habe ihr zum Beispiel geholfen, als sie in der ersten Woche in der Straßenbahn kontrolliert wurde und ein falsches Ticket hatte. Für die Studentin steht fest: Auch wenn sie von vielen Menschen gehört habe, wie hässlich Mannheim sei, war es die beste Stadt, die sie sich für ihr Austauschsemester hätte aussuchen können. Wer auf Platz eins der Liste der hässlichsten Städte Deutschlands steht, lässt Shannon in ihrem Artikel offen. Am Telefon verrät sie es aber: "Ich habe mehrfach gehört, dass das Ludwigshafen sein soll."
http://www.morgenweb.de/mannheim/mannhe ... -1.2490032Mannheimer Morgen, Dienstag, 27.10.2015