Und wieder mal eine neue Doku über Charly Graf

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Vom Fall und Aufstieg eines Mannheimers Von unserem Redaktionsmitglied Heiko Brohm
Nicht immer ist das in Einklang zu bringen: dieser Mann, sein massiver Körper, kräftig, trainiert noch immer. Und dann die Worte, die er spricht, langsam oft, sie handeln von Angst, von Einsamkeit und dem Wunsch, geliebt zu werden. Der Boxer Charles Graf - genannt Charly Graf - hat selbst Jahrzehnte gebraucht, um das alles in sich in Einklang zu bringen. Geholfen haben ihm dabei ein Ex-Terrorist und natürlich sein Sport, das Boxen. Diesem besonderen Leben, das in seinen Facetten auch ein besonders deutsches Leben ist, hat der Filmemacher Eric Fiedler die Dokumentation "Ein Deutscher Boxer" gewidmet (heute Abend, 23.45 Uhr, ARD).
"Ich musste immer kämpfen", sagt Charly Graf am Anfang des Films. Weil er als uneheliches Kind eines amerikanischen Soldaten und einer deutschen Mutter als Farbiger und ohne Vater im Nachkriegsdeutschland aufwuchs, weil er in den Benz-Baracken wohnte, am Rande der Gesellschaft, weil er keine Chance und immer mit dem Vorurteil zu kämpfen hatte, einer zu sein, der sowieso nur eines könne - draufschlagen. "Dieses Vorurteil, das vernichte ich", sagt Graf.
Blicke in eine fremde Welt Über Charly Graf ist viel gesprochen und geschrieben worden, jetzt also ein Film. Eric Friedler hat sich dem Leben des Boxers angenommen. Der gebürtige Australier Friedler hat in den vergangenen Jahren Dokumentationen wie "Das Schweigen der Quandts" oder gerade erst "Der Sturz - Honeckers Ende" vorgelegt, er entwickelte den Hamburger Tatort mit Mehmet Kurtulus und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. In "Ein Deutscher Boxer" zeigt er das Leben Grafs nicht allein als Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Mannheimer Boxers. Die Dokumentation verknüpft viele Fäden des Nachkriegsdeutschlands, so dass neben einer sehenswerten Biografie eines Boxers auch noch die einer deutschen Epoche entsteht.
Die Vorlage für diese gelungene Umsetzung liefert das Leben Charly Grafs, das in seinen Wendungen unfassbar genug ist. Einer der talentiertesten Boxer Deutschlands, sein schneller Aufstieg, sein Abrutschen ins Mannheimer Rotlichtmilieu, Zuhälterei, Körperverletzung, Haftstrafen. Gleichzeitig passiert in Deutschland noch ganz anderes, die RAF terrorisiert das Land. Im Gefängnis treffen diese Welten aufeinander: der aggressive Zuhälter Charly Graf und der RAF-Terrorist Peter-Jürgen Boock. Zwischen beiden entsteht eine Freundschaft - "ein Mensch, der gemordet hat, hat verhindert, dass ich auch in diese Richtung gehe", sagt Graf im Film über Boock.
Der Film erzählt den erneuten Aufstieg Grafs zum Deutschen Boxmeister aus dem Gefängnis heraus und das jähe Ende dieses Traums. Er tut das zurückhaltend, er lässt Bilder, Beteiligte und Musik sprechen und kommt völlig ohne Stimme aus dem Off aus. Er zeigt Filmaufnahmen aus den Benz-Baracken aus den 50ern, Charly Graf ist als Vierjähriger auf dem Schoss seiner Mutter zu sehen - Bilder aus Mannheim und gleichzeitig ein Blick in eine fremde Welt.
Alles folgt grob einer chronologischen Linie, ohne strikte Biografie zu sein. Im Zentrum steht die Beziehung zu Peter-Jürgen Boock, im Film tauchen aber auch viele andere bekannte und unbekannte Gesichter auf, etwa Konstantin Wecker oder Wilfried Sauerland. Am Ende trifft Charly Graf in seiner Mannheimer Wohnung den Mann, gegen den er am 29. November 1985 seinen letzten Kampf boxte. Und verlor.
© Mannheimer Morgen, Dienstag, 12.06.2012