Parabolspiegel in der Wüste
Wie Europa von Kohle und Gas loskommtVon Jens Lubbadeh
Saubere, unerschöpfliche Energie ist kein Traum, sagen Wissenschaftler. Riesige Spiegel-Kraftwerke in den Wüsten rund ums Mittelmeer könnten das Energieproblem lösen. Die Technik ist da, die Industrie will investieren - nur die Politik zögert.Das Öl des 21. Jahrhunderts liegt nicht tief unter der Erde - sondern darauf: Sonnenstrahlen. "Sonne ist der 'hidden asset' Nordafrikas und des Nahen Ostens", sagt Gerhard Knies. Hidden asset - das bedeutet "verborgenes Kapital". Knies ist Sprecher der Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation - kurz TREC. Ein Netzwerk von Wissenschaftlern und Politikern verschiedener Länder, die sich vorgenommen haben Europas Energieproblem zu lösen.
Sie haben eine Vision, die sie Desertec nennen: unerschöpfliche, saubere, erschwingliche Energie. Mit Strom aus Wüstensonne.
"Wir haben kein Energieproblem", sagt Hans Müller-Steinhagen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Im Auftrag des Bundesumweltministeriums hat er in mehreren Studien Desertec auf seine Umsetzbarkeit hin geprüft. Sein Ergebnis: Desertec ist keine Science-Fiction.
"Wir haben ein Energieumwandlungs- und -verteilungsproblem", sagt Müller-Steinhagen. In den Studien hat er die Energiesituation Europas, Nordafrikas und des Nahen Ostens untersucht - mit Blick auf die Zeit nach dem Öl. Unter allen alternativen Energiequellen zeichnete sich dabei mit weitem Abstand ein Sieger ab: "Kein Energieträger erreicht auch nur ansatzweise eine solch gewaltige Energiedichte wie Sonnenschein", sagt Müller-Steinhagen.
Kein anderer Energieträger sei außerdem auf einer solch großen Fläche verfügbar. 630.000 Terawattstunden - so viel Sonnenstrahlen-Energie gehe ungenutzt auf die Wüsten in Nahost und Nordafrika nieder, in den sogenannten Mena-Staaten (Middle East, North Africa). Pro Jahr.
Sechs Promille der Sonnenenergie würden schon reichenDem gegenüber stehen 4000 Terawattstunden. So viel Strom braucht Europa in diesem Jahr. Das sind gerade einmal sechs Promille der ungenutzten Sonnenenergie.
Europa braucht Strom und hat wenig Sonne. Die Mena-Länder haben viel Sonne und brauchen wenig Strom. Da liegt die Lösung nahe: Der Süden produziert Strom für den Norden - aber wie soll der gigantische Energietransfer funktionieren?
Und wie wird aus der Wüstensonne Strom? Relativ einfach: Desertec ist Low-Tech - man braucht keine teuren Kernfusionsreaktoren, keine CO2-abscheidenden Kohlekraftwerke, keine ultradünnen Solarzellen. Das Prinzip kennt jeder Junge, der einmal mit einem Brennglas Löcher in Papier gebrannt hat: Gebündelte Sonnenstrahlen, von Parabolrinnen-Spiegeln konzentriert, erhitzen Wasser, Dampf treibt Turbinen an und erzeugen Strom. So funktioniert ein Solarthermie-Kraftwerk. Auch bei Nacht: In Salzspeichern kann die am Tag erzeugte Wärme für einige Stunden festgehalten werden. So können die Turbinen auch laufen und Strom erzeugen, wenn die Sonne nicht scheint.
Soll die Sahara also mit Spiegeln zugepflastert werden? Nein, sagt Müller-Steinhagen und zeigt als Antwort ein Bild. Darauf ist die riesige Wüste, in die drei rote Quadrate eingezeichnet sind. Über einem steht "Welt", es entspricht etwa der Fläche Österreichs. "Diese Fläche mit Parabolrinnenkraftwerken bestückt reicht aus, um die ganze Welt mit Wüstenstrom zu versorgen."
Über dem zweiten Quadrat steht "EU 25". Es ist etwa nur ein Viertel so groß wie das "Welt"-Quadrat. So viel Solarthermie-Kraftwerksfläche könnte Europa frei von Öl, Gas und Kohle machen. Über dem dritten steht ein "D" - für Deutschland. Es ist nur noch ein Punkt.
Europa und die Sonnenstaaten - alle könnten gewinnenDie Idee: Die sonnenreichen Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens bauen in ihren Wüsten Spiegel-Kraftwerke und produzieren Strom. Mit der Restwärme der Kraftwerke könnten sie außerdem Meerwasser-Entsalzungsanlagen betreiben - für diese wasserarmen Länder wäre Trinkwasser in großen Mengen eine bedeutende Hilfe. Und mit dem Strom, den sie nicht selbst verbrauchen, erhielten sie obendrein ein wertvolles Exportgut: umweltfreundlich erzeugten, sauberen Strom.
"Die Mena-Länder sind in einer dreifachen Win-Situation", sagt Müller-Steinhagen. Aber auch Europa gewinnt: keine Abhängigkeit mehr von russischem Gas oder steigenden Erdölpreisen. Kein radioaktiver Müll. Keine klimaschädlichen Kohlekraftwerke.
Für Länder wie Libyen, Marokko, Algerien, Sudan und vor allem den Nahen Osten könnte der Einstieg in eine Solarthermie-Wirtschaft zugleich der Beginn einer wahrhaft sonnigen Zukunft sein. Arbeitsplätze könnten entstehen, eine nachhaltige Energiewirtschaft würde Geld ins Land bringen, Infrastruktur könnte aufgebaut werden.
Ab 2020 wird Solarthermie-Strom wettbewerbsfähig sein
Desertec ist eigentlich keine Vision. Die Technologie ist da und hat sich bewährt: Seit Mitte der achtziger Jahre sind in den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada Solarthermie-Kraftwerke in Betrieb - ohne Probleme. In Südspanien werden derzeit weitere errichtet. Auch in Algerien, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten haben die Bauarbeiten für Solarthermie-Kraftwerke begonnen.
Müller-Steinhagen hat errechnet, was die Energiewende kosten würde: Bis zum Jahr 2050 wären etwa 400 Milliarden Euro nötig, um so viel Solarthermie-Kraftwerke zu bauen, dass Europa 15 Prozent seines Strombedarfs damit decken könnte. 350 Milliarden Euro würden die Kraftwerke kosten und etwa 50 Milliarden Euro das Leitungsnetz, um den Strom von Nordafrika nach Europa zu transportieren. Dazu braucht man ein Netz von Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen - auch diese Technologie ist vorhanden und erprobt. Nur so kann Strom auf Distanzen von Tausenden Kilometern mit relativ geringen Verlusten transportiert werden.
Wenn alles so simpel ist - warum bauen dann Länder mit genügend Sonneneinstrahlung teure und gefährliche Atomkraftwerke, statt in die simple Spiegeltechnologie zu investieren? Haben nicht auch die USA Wüsten? Warum machen sie sich nicht frei vom Öl? Und: Wieso hat eigentlich noch keiner angefangen?
"Solarthermie hat damals nach dem Bau der Kraftwerke in Kalifornien und Nevada keinen mehr interessiert, weil fossile Energieträger so unschlagbar billig wurden", sagt Müller-Steinhagen. Dabei hätten es die USA viel leichter - sie sind kein Konglomerat von Ländern mit unterschiedlichen Interessen. Sie könnten mit Spiegelkraftwerken im sonnigen Südwesten autark sein. Erst kürzlich haben Wissenschaftler einen "Great Solar Plan" für die USA entwickelt.
Billiges Öl hat den Durchbruch der Solarthermie verhindert. Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait sind Länder, in denen Sonnenschein im Überfluss vorhanden ist - aber eben auch Öl. Dabei könnten sich diese reichen Länder Solarthermie-Kraftwerke leicht leisten. Müller-Steinhagen lächelt: "In Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten kostet der Strom ein halbes Cent die Kilowattstunde. Da haben Sie es schwer, die Leute von den Vorzügen der Solarthermie zu überzeugen."
Europa braucht Energie, Nordafrika braucht WasserSamer Zureikat, Gründer der Mena Cleantech GmbH, bestätigt: "Es gibt in den Mena-Ländern einen Mangel an Bewusstsein, was diese Technologie kann. Wenn man den Leuten dort etwas von Solarenergie erzählt, dann denken sie an kleine Solarpanels, die Straßenlaternen beleuchten - aber nicht an riesige Kraftwerke, die ganze Länder mit Strom versorgen." Für Zureikat ist der Umstieg auf Solarthermie-Energie eine unausweichliche Notwendigkeit - aus einem anderen Grund: "Europa braucht Energie. Nordafrika und der Nahe Osten aber brauchen Wasser - und zwar dringend."
Müller-Steinhagen gibt ihm Recht. In einer weiteren Studie hat er den zukünftigen Wasserbedarf der Region untersucht - und die Möglichkeiten der Meerwasserentsalzung mit solarthermisch erzeugter Energie. Das Ergebnis: Bis zum Jahr 2050 wird sich der Wassermangel in der Mena-Region verdreifachen.
Das Interesse an Solarthermie wächst - aber langsam. Masdar, eine Firma aus Abu Dhabi, die in alternative Energien investiert, hat sich am Bau der drei spanischen Solarthermie-Kraftwerke beteiligt. Und sie will auch im eigenen Land welche bauen.
Noch ist solarthermisch erzeugter Strom nicht konkurrenzfähig. Allerdings wird herkömmlich erzeugte Energie immer teurer - und Solarthermie mit dem Bau jedes neuen Kraftwerks billiger. Spätestens 2020 werde solarthermischer Strom mit fossil erzeugtem beim Preis gleichziehen, sagt Müller-Steinhagen. Außerdem habe man mehr Preisstabilität, denn die Sonne liefere ihre Energie unbegrenzt und umsonst - ohne aufwendige und teure Rohstoffförderung.
Sarkozy ist sehr an Solarenergie interessiertMüller-Steinhagen fordert ein schnelles Umdenken. Jetzt sei die richtige Zeit: Europas alte Kraftwerke würden ausrangiert, neue müssten her, und diese Investition entscheide über die Zukunft unserer Energie - denn Kraftwerke laufen Jahrzehnte.
Die Politik beginnt, sich für das Konzept zu interessieren. Die Bundesregierung unterstützt es, auf europäischer Ebene setzen sich unter anderem die Abgeordneten Rebecca Harms (Grüne) und Matthias Groote (SPD) für Desertec ein. Auch Frankreichs Präsident Sarkozy hat plötzlich die Solarenergie entdeckt - obwohl er gerade erst noch Atomkraftwerke an nordafrikanische Staaten verkauft hat. "Wir werden überschüttet mit Anfragen aus Frankreich", sagt Müller-Steinhagen. Im Rahmen der umstrittenen Mittelmeerunion, einem losen Bündnis aller Mittelmeer-Anrainerstaaten und weiterer EU-Staaten, will Sarkozy das Thema Solarenergie voranbringen.
SPD-Politiker Groote hofft auf "neue Impulse, wenn im zweiten Halbjahr Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt". Seine Grünen-Kollegin Harms warnt allerdings vor zu viel Optimismus: "Es ist immer noch eine Minderheit im europäischen Parlament, die sich für Solarthermie einsetzt. Von einer gemeinsamen Energiepolitik sind wir weit entfernt."
Zu viele Fragen sind noch unbeantwortet: Wer soll das transkontinentale Stromnetz finanzieren? Wem würde es gehören? Kann man sich auf einen gemeinsamen garantierten Einspeisetarif für solarthermischen Strom einigen?
Letzterer ist vor allem für Investoren und Industrie ein kritischer Punkt. Wolfgang Knothe, Vorstandsmitglied bei der MAN Ferrostaal GmbH: "Wir brauchen politische Sicherheiten, um loszulegen." Am Geld liegt es nicht. Nikolai Ulrich von der HSH Nordbank bestätigt: "Erneuerbare Energien sind in. Es ist derzeit relativ einfach, Investorengelder für Projekte mit erneuerbaren Energien zu bekommen."
So bleibt Desertec derzeit also doch noch Vision - aber allein aufgrund der politischen Hindernisse. Aber man brauche Visionen, sagt Knothe optimistisch: "Ohne Kennedys Traum hätte es auch keine Mondlandung gegeben." Damals war der Wille zur Umsetzung der Vision da, nur die Technik noch nicht.
Bei Desertec ist es anders: Die Technik ist da, aber am Willen mangelt es noch.
Quelle:
www.spiegel.deArtikel