https://www.kicker.de/geheime-fan-datenbank-in-bayern-1644-fragezeichen-868760/artikelGeheime Fan-Datenbank in Bayern: 1644 Fragezeichen
Bundesliga
18.08. - 22:04
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Im Freistaat Bayern wird im Geheimen eine Fan-Datenbank geführt, die nicht nur bei Politikern, Datenschützern und Juristen auf harte Kritik stößt. Dem kicker liegen Unterlagen vor.
Auch Bayern-Fans sind im Visier: 248 der 1644 Personen sind Anhänger des Rekordmeisters. Mehr aber noch unterstützen den 1. FC Nürnberg und den TSV 1860.
Auch Bayern-Fans sind im Visier: 248 der 1644 Personen sind Anhänger des Rekordmeisters. Mehr aber noch unterstützen den 1. FC Nürnberg und den TSV 1860.picture alliance / Pressefoto ULMER/Markus Ulmer
Der Name ist keineswegs Programm. Die Datenbank, die in Bayern unter dem zumindest im ersten Teil harmlos scheinenden Namen "EASy Gewalt und Sport" („EASy GS“) beim Landeskriminalamt angesiedelt ist, ist vielmehr schwere Kost für Stadiongänger, Datenschützer, Politiker und Juristen. In ihr werden seit dem 24. Januar 2020 parallel zur bundesweiten "Datei Gewalttäter Sport" (DGS) Personalien von Fußballfans gesammelt und ausgewertet. Das ergab eine schriftliche Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Katharina Schulze und Max Deisenhofer. Die entsprechenden Antworten des Innenministeriums darauf liegen dem kicker ebenso vor wie Auszüge eines Eintrags aus der Datei.
Die bayerische Polizei sitzt demzufolge auf einer gewaltigen Datenmenge, 1644 Personen waren in "EASy GS" zum Stand 15. Juni 2021 gespeichert, am häufigsten Fans des 1. FC Nürnberg (556 Personen), von 1860 München (407) und des FC Bayern München (248). Zum Vergleich: In der DGS sind es rund 500 Personen mit Wohnsitz in Bayern. Das ist aber nur ein Kritikpunkt an der Datei, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus den vorher benutzten vier lokalen Datenbanken der szenekundigen Beamten hervorgegangen ist.
Die Kriterien für eine Aufnahme in "EASy GS" sind niederschwellig. "Die Entscheidung zur Speicherung einer Person […] erfolgt nicht auf Basis eines einzelnen relevanten Sachverhalts, sondern auf Grundlage einer sogenannten Individualprognose", heißt es in der Antwort auf die Anfrage. Diese offene Formulierung wird von Experten so interpretiert, dass eine Aufnahme auch ohne Verdacht auf eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit möglich ist. "Man kann also in der Datensammlung landen, wenn die Polizei meint, dass von einer Person die Gefahr des Anbringens von Aufklebern ausgeht", glaubt Marco Noli, Strafverteidiger aus München und Mitglied der AG Fananwälte. Die Menge der gespeicherten Personen stößt auch in der Politik auf Unverständnis. "Der Besuch von Fußballspielen ist in Bayern gefahrlos möglich, die Anzahl der Delikte und Ordnungswidrigkeiten geht seit Jahren kontinuierlich zurück. Vor diesem Hintergrund ist es absolut unverständlich, dass die bayerische Polizei still und heimlich eine weitere Datenbank zur Speicherung von Fußballfans angelegt hat - in der noch dazu dreimal so viele Personen gespeichert sind", sagt Deisenhofer, sportpolitischer Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion.
Eine Art Kartografie der organisierten Fanszene
Aber wofür wird die Datenbank von der Polizei genutzt? "Die Datei 'EASy GS' dient der Gewinnung von personenbezogenen Erkenntnissen über Zusammenhänge und Verbindungen zwischen den Angehörigen gewaltbereiter Szenen im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen", heißt es vonseiten des Staatsministeriums. So sollen "gezielte polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr" initiiert werden. Das bedeutet wohl zum Beispiel Hilfe bei der Einschätzung, welche Partien als Risikospiele eingeordnet werden. Zusätzlich scheint es aber, dass in der Datei möglichst viele Mitglieder und Sympathisanten aus Sicht der Polizei verdächtiger Fangruppen gesammelt werden, vor allem Anhänger rund um die Ultragruppierungen - eine Art Kartografie der organisierten Fanszene. "Der Verdacht liegt nahe, dass festgehalten wird, welche Person mit wem verkehrt, in welchem Fanklub sie ist und welche Bekannte sie möglicherweise bei einer Ultragruppe hat", sagt Christian Exner vom AWO-Fanprojekt in München: "Das ist eine Sammelwut, um ein großes Bild herzustellen. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum so viele Personen gespeichert wurden. Es geht offenbar um möglichst viele Daten und Querverbindungen. Das Ergebnis ist aber eine generelle Kriminalisierung."
Und zumindest bei einigen Personen in der Datei wird neben vielen Angaben zur Person auch protokolliert, welche Spiele sie als Zuschauer besucht und wo genau sie sich im Stadion aufgehalten haben. In einer dem kicker vorliegenden Datenauskunft eines Fans sind dessen Besuche von Heim- und Auswärtspartien aufgelistet, jeweils mit dem Vermerk "Besuch einer Sportveranstaltung mit Aufenthalt im Kreis einer gewaltbereiten Gruppierung oder deren näheren Umfeld". Kenntnis von ihrer Speicherung und von den detaillierten Informationen zu ihr und ihrem Bewegungsprofil hatte die Person bis zu der bei den Behörden beantragten Einsicht keine. Die Datei greife "erheblich in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung" ein und sei "in dieser Form verfassungswidrig", sagt die AG Fananwälte sogar. Wie die Besuche nachgehalten werden, bleibt offen. "Polizeicomputer sind keine rechtsfreien Räume. Auch da gelten strenge verfassungsrechtliche Grundsätze, die damit verletzt werden", urteilt Anwalt Noli.
Es kann doch nicht sein, dass weder die Betroffenen von der Existenz einer solchen Datei wissen, noch dass ihre Daten gespeichert wurden.
GRÜNEN-FRAKTIONSVORSITZENDE KATHARINA SCHULZE
Gespeicherte Personen werden zudem nicht proaktiv über die Aufnahme informiert, Akteneinsicht haben auch aufgrund des bisher kaum verbreiteten Wissens über die Datei nur die Allerwenigsten beantragt. "Es kann doch nicht sein, dass weder die Betroffenen von der Existenz einer solchen Datei wissen, noch dass ihre Daten gespeichert wurden", kritisiert die Grünen-Fraktionsvorsitzende Schulze. Bei einem Auskunftsersuchen sei "die Söder-Regierung nur zögerlich und unvollständig zur Herausgabe der Unterlagen bereit".
Leere Stehplätze in München
Leere Stehplätze in München.Ulmer/Pool
Der zuständige Datenschutzbeauftragte Dr. Thomas Petri steht zwar seit 2017 mit dem Staatsministerium "im kritischen Austausch", wie dessen Geschäftsstelle auf kicker-Anfrage bestätigt, muss gemäß dem Polizeiaufgabengesetz aber keine Genehmigung erteilen, sondern prüft nur die Plausibilität der "für den erstmaligen Einsatz von automatisierten Verfahren, mit denen personenbezogene Daten verarbeitet werden“ notwendigen Errichtungsanordnung. Eine Speicherung "szenetypischer Daten" sei "in Anbetracht der vornehmlich präventiven Ausrichtung" ihm zufolge "oftmals als erforderlich zu werten" das gelte auch "für die Verarbeitung von Daten aus dem Kontext von Straftaten oder Sicherheitsstörungen". Die Rechtmäßigkeit sei letztlich aber "immer einzelfallabhängig zu beurteilen". Den bisher ausbleibenden Benachrichtigungen steht der Datenschutzbeauftragte kritisch gegenüber: "Eine generelle Benachrichtigungspflicht würde betroffenen Personen gegenüber für mehr Transparenz sorgen. Aus datenschutzrechtlicher Sicht wäre eine entsprechende Regelung daher zu begrüßen." Diese Auffassung habe er auch gegenüber dem Innenministerium vertreten.
Selbst ein eingestelltes Verfahren reicht nicht zur Löschung eines Eintrags aus
Während die Aufnahme in die Datei schnell und unbemerkt geschieht, ist eine Löschung daraus vor Ablauf der gesetzlichen Speicherungsfrist von bis zu zehn Jahren ungleich schwerer. Die sei nur möglich, "wenn aus einer der Polizei bekannten Entscheidung der Justiz eindeutig hervorgeht, dass im Verfahren über den Beschuldigten jeglicher Tatverdacht ausgeräumt worden ist". Der Knackpunkt: Selbst ein eingestelltes Verfahren reicht dafür nicht aus, da Tatverdächtige von der Staatsanwaltschaft in den seltensten Fällen als "unschuldig" freigesprochen werden, bei einer Einstellung mangels Beweisen bleibt ein juristischer Restverdacht. Die Beweispflicht wird für die Gespeicherten also umgekehrt, nicht nur für die Grünen das "Gegenteil der Unschuldsvermutung".
Polizei-Einsatz bei einem Spiel von 1860 München
Polizei-Einsatz bei einem Spiel von 1860 München.imago images/MIS
Was bisher aufgrund der seit Januar 2020 nur wenigen Spiele mit Zuschauern offenbleibt, sind die tatsächlichen Auswirkungen der Speicherung in "EASy GS" für die betroffenen Personen. Die Formulierungen in den Antworten des Staatsministeriums lassen den Beamten zumindest viele Möglichkeiten. Ein Beispiel: Gibt es möglicherweise wie für in der "DGS" geführte Personen Probleme bei beruflichen oder privaten Reisen ins Ausland, auch wenn diese gar keinen Bezug zum Fußball haben? Zwar finde "keine automatisierte Datenübertragung von der Anwendung EASy GS zu anderen polizeilichen Datenbanken" statt, und der Personenkreis mit Zugriff soll ein "eng eingegrenzter Bereich von Angehörigen der bayerischen Polizei" wie szenekundige Beamte, Ermittler und Sachbearbeiter sein, allerdings wird auch eine "Einzelfallübermittlung zur Erfüllung der Aufgaben einer öffentlichen Stelle oder zur polizeilichen Aufgabenerfüllung" ermöglicht.
Das ohnehin schon nicht nur in Bayern sehr angespannte Verhältnis zwischen Behörden und Fans wird in jedem Fall weiter beschädigt, findet Tobias Reuter vom Fanprojekt München: "Junge Menschen werden als Gewalttäter stigmatisiert, nur weil sie einer Fangruppe angehören oder Personen aus der Szene kennen."