Einmal Waldhof, immer Waldhof
Als der 14-jährige Dimitrios Tsionanis 1974 zur C-Jugend des SV Waldhof Mannheim kam, hätte er sich nie vorstellen können, mehr als 35 Jahre später immer noch sehr eng mit dem Verein verbunden zu sein. In den 80er Jahren hat er in gut 200 Bundesliga- und Zweitligaspielen als Verteidiger und Manndecker auf dem Platz gestanden. Heute heißt die von seiner Schwester geführte Vereinsgaststätte „Bei Dimi” - und der gebürtige Grieche, der ihr den Namen gab, ist längst ein Mannheimer Original.
Der Schock war groß, als die Nachricht in Mannheim bekannt geworden ist: In der Nacht zum Ostermontag ist das Clubhaus des SV Waldhof abgebrannt (wir berichteten). Es ist schnell klar gewesen, dass niemand verletzt wurde und Brandstiftung als Ursache auszuschließen ist. Der Brand ist wohl auf einen Kurzschluss zurückzuführen, und die Betreiber sind zuversichtlich, dass die Versicherung den Schaden bald regulieren wird. Die meisten Leute, die vorbeikamen, hatten allerdings ohnehin ganz andere Sorgen: Was ist aus den Fotos und Postern an den Wänden und der Decke geworden?
„Das war wirklich das, was die Leute am meisten interessierte”, sagt Dimitrios Tsionanis. „Ich habe ständig gehört: Oh, das Clubhaus ist abgebrannt. Wie schade um die Bilder.'” Dabei war das das geringste Problem: Was im Lokal hing, waren ohnehin nur Kopien. Tsionanis - den jeder nur „Dimi” nennt - hat alles auf dem Computer gespeichert.
Die Episode sagt viel aus über die Bedeutung des SV Waldhof für Mannheim. Ein Mann kam von der Rheinau - also vom anderen Ende der Stadt - an den Alsenweg gefahren, um ein Mannschaftsfoto zu übergeben: für das neue Lokal, das in den benachbarten VIP-Räumen des Vereins untergebracht worden ist. Die Betreiberin, Tsionanis' Schwester Nikolina „Niki” Manzaridou, hat eine Küche und einen Kühlraum einbauen lassen und konnte schon nach drei Wochen wieder eröffnen. Jetzt sitzen alle Gäste ein paar Meter weiter, um riesige Schnitzel für vier Euro zu essen, vom Aufstieg zu träumen und von den goldenen Zeiten.
„Tradition” nennt Tsionanis als Stichwort auf die Frage, was so besonders am SV Waldhof ist. Und lässt die Namen Otto Siffling und Sepp Herberger folgen. Auf den Hinweis, dass er selbst ja inzwischen auch ein Stück dessen ist, was die Tradition ausmacht, sieht er ganz gerührt aus. Tatsächlich hat er, und das schätzen die Fans, auf dem Platz immer alles gegeben. Er widerspricht nicht, wenn man ihn mit der Einschätzung konfrontiert, er sei ein Spieler gewesen, der weder sich noch den Gegner geschont hat. „Der Trainer konnte sich auf mich verlassen, ich habe seine Taktik umgesetzt”, sagt er. „Meine Stärken waren das Zweikampfverhalten und die Schnelligkeit.” Und das Kopfballspiel: „Hauptsache, der Ball war weg.” Die Trainerlegende Max Merkel hat mal über ihn gesagt, er könne auch „eine Kiste Cola aus dem Strafraum köpfen”. „Ach ja”, sagt „Dimi” und lacht.
In all den Jahren hat er sich erstaunlich wenige Verletzungen zugezogen: Meniskusbeschwerden und einmal einen Jochbeinbruch, als er im Training mit Walter Pradt zusammengeprallt war. Noch bis vor fünf Jahren hat Tsionanis, der im Sommer seinen 50. Geburtstag feiert, in einer Privatmannschaft gekickt. Ab und zu kann man ihn mit der Waldhof-Traditionsmannschaft erleben. Außerdem trainiert er die griechische Kreisliga-Mannschaft SV Enosis Mannheim.
Eine Laufbahn als Bundesliga-Trainer anzustreben, kam nach dem Ende seiner Karriere als Profi-Fußballer 1990/91 nie in Frage: „In der Bundesliga-Zeit hatte ich sehr wenig Privatleben. Deswegen war es mir danach sehr wichtig, viel Zeit mit meiner Familie zu verbringen.” Seine Tochter ist heute 25, der Sohn 22 Jahre alt. Im Sommer verbringt die Familie gerne ein paar Wochen im eigenen Haus in Tsionanis' Heimatort in Griechenland. „Mich zieht es immer dorthin”, sagt er, „aber wenn ich zwei Wochen dort bin, will ich auch wieder nach Deutschland.” Seinen griechischen Pass hat er nie abgegeben. So kam er immerhin zu einem Länderspiel-Einsatz in der griechischen Nationalmannschaft: eine 1:3-Niederlage 1986 gegen Spanien.
Seit 1970 lebt die Familie in Deutschland. Die Mutter war damals zuerst allein nach München gegangen, der Vater nach Mannheim. Nach einem Jahr waren alle hier vereint, Eltern und Kinder: die zwölfjährige Nikolina, der neunjährige Dimitrios und der achtjährige Pantelis, aus dem später ebenfalls ein Fußballspieler wurde. Er hat allerdings nur ein Bundesliga-Spiel für den SV Waldhof absolviert. Am Anfang, erzählt „Niki”, sei das Leben auf sehr beengtem Raum in der Neckarstadt schwer gewesen. Nach dem Umzug in den Jungbusch wurde es besser.
Dimitrios Tsionanis lebt heute noch ganz in der Nähe, in den Quadraten. Er arbeitet in einem Buchhaltungsbüro und unterstützt seine Schwester jeden Tag in der Gaststätte. Und wirkt rundum zufrieden. Sein Leben wäre vermutlich perfekt, wenn eine einzige Sache noch passieren würde: der Aufstieg des SV Waldhof in die Regionalliga, der mit noch einem einzigen Sieg am Samstag geschafft wäre.
